Die nächste Ausgabe erscheint am 01.01.2025.

revista

Das Magazin der BKK WIRTSCHAFT & FINANZEN

Auf der Kippe: die Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung

Finger schießen Geschäftsmann am Rande der Klippe

Weil außerhalb von Expertenzirkeln kaum noch jemand wirklich versteht, was im Gesundheitswesen vor sich geht, haben sich im Laufe der Jahre Missstände bei der Finanzierung eingeschlichen, die eindeutig gegen die Interessen der Beitragszahler verstoßen, aber dennoch in der öffentlichen Diskussion keine nennenswerte Rolle spielen. Mehr noch: Bund und Länder greifen den Beitragszahlern immer tiefer in die Tasche und ziehen sie zur Finanzierung von Aufgaben heran, die eigentlich Sache der öffentlichen Haushalte – und nicht der Krankenkassen und ihrer Mitglieder – sind.


Maßnahme 1: Kostendeckende Beiträge bei Bürgergeldbezug

Der Krankenkassenbeitrag für Bürgergeldbeziehende kann nicht wie bei normalen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern berechnet werden. Deshalb legt der Bund ihn per Gesetz fest. Aber er schrieb nicht den Zahlbetrag ins Gesetz, sondern einen Berechnungsfaktor der aktuell 0,2155 beträgt. Mit ihm wird die „Soziale Bezugsgröße“, eine Art Durchschnittseinkommen der GKV-Versicherten, multipliziert – heraus kommt der Krankenkassenbeitrag. Aber der willkürlich gewählte Berechnungsfaktor wurde immer wieder nach Belieben geändert. Im Jahr 2016 wurde er beispielsweise um sage und schreibe 40,3 Prozent abgesenkt. Und mit ihm natürlich auch der Krankenkassenbeitrag für Bürgergeldempfänger. Aktueller Stand ist: Während für Vollzeitbeschäftigte in untersten Lohngruppen derzeit ein GKV-Beitrag von etwa 350 Euro zu entrichten ist, zahlt der Bund nur einen Beitrag von knapp 119 Euro. Würde der Bund fair bemessene Beiträge an die GKV zahlen, hätten die Beitragszahler im Gegenzug rund 9 Milliarden Euro weniger aufzubringen.

csm 4 infografik buergergeld 28a5404b02
csm 2 infografik mwst b4e4f68bb3

Maßnahme 2: Ermäßigte Steuern auf Arzneimittel

Im Jahr 2023 lagen die GKV-Ausgaben für Arzneimittel bei über 50 Milliarden Euro. Diese beinhalten auch Aufwendungen für den vollen Steuersatz von 19 Prozent. Würde die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel analog zu Büchern, Zeitschriften, dem Personennahverkehr oder Konzerttickets auf den ermäßigten Steuersatz von 7 Prozent gesenkt, könnte die GKV um mehr als 4 Milliarden Euro entlastet werden.

Maßnahme 3: Zurück zu steuerfinanzierten Investitionskosten in Krankenhäusern

Die Bundesländer sind verfassungsrechtlich verpflichtet, für Planung und Investitionsfinanzierung der Krankenhauskapazitäten in Deutschland aufzukommen. Die Trennung ist eindeutig: Die Länder haben für alle Investitionen zu zahlen, also für den Bau und die Ausstattung der Krankenhäuser mit medizinischen Geräten. Die Krankenkassen kommen hingegen für den Betrieb auf, also beispielsweise für die Löhne der Beschäftigten, für Verbrauchsmaterial oder für Energie.


Doch die Bundesländer zahlen seit vielen Jahren immer weniger: Während es 1993 noch 3,9 Milliarden Euro waren, sank der Betrag nominell bis 2021 um 15 Prozent auf 3,3 Milliarden. Berücksichtigt man den Wertverlust durch die Inflation, sank der Betrag sogar um 44 Prozent. Im selben Zeitraum haben sich die Krankenhausausgaben der Krankenkassen aber von 29 Milliarden Euro auf insgesamt 85 Milliarden Euro nahezu verdreifacht. Zieht man die Inflation ab, stiegen sie immer noch um 70 Prozent. Resultat: Der Anteil der Bundesländer an der Krankenhausfinanzierung ist zwischen 1993 und 2021 von mehr als 10 Prozent auf unter 4 Prozent gefallen. Kein Wunder, dass viele Krankenhäuser marode sind.


Umgekehrt trugen die Beitragszahler der GKV im Jahr 1993 nicht einmal 90 Prozent der Kosten für Krankenhäuser, während es nunmehr über 96 Prozent der Kosten sind. Das heißt: Die Krankenhäuser müssen wohl oder übel auch ihre Investitionen aus den Einnahmen für die Behandlung der Patienten finanzieren.


Da viele Krankenhäuser in Deutschland verschuldet und ihre Strukturen überaltert sind, versucht sich die Politik seit langem an einer Reform. Kleine Kliniken sollen sich spezialisieren oder abgewickelt werden, für komplexe Eingriffe sollen große Zentren der Spitzenmedizin zuständig sein. Um eine Umstrukturierung des Kliniksystems zu fördern, hat sich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach einen „Transformationsfonds“ einfallen lassen. 50 Milliarden Euro an Fördermitteln soll dieser enthalten, 25 Milliarden Euro davon sollen die Krankenkassen zahlen. Zwischen 2026 und 2035 ergibt das eine jährliche Mehrbelastung von 2,5 Milliarden Euro für die gesetzliche Versichertengemeinschaft. Das treibt die Beiträge um deutlich mehr als 0,1 Prozentpunkte nach oben.

KW35 Sharepic Bundeslaender ohne Hashtag
5 infografik umstrukturierung

Maßnahme 4: Kostendeckende Steuerzuschüsse für versicherungsfremde Leistungen

Dieser sperrige Begriff bezeichnet alle Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung, die sozialpolitisch von der Allgemeinheit gewollt sind, aber nichts mit den Leistungen einer Sozialversicherung zu tun haben. Der Bund zahlt für die versicherungsfremden Leistungen einen Zuschuss an die GKV. Im Jahr 2012 betrug der Bundeszuschuss 14 Milliarden Euro, aktuell sind es 14,5 Milliarden – also gerade einmal 3,6 Prozent mehr als vor zwölf Jahren. Berücksichtigt man den Wertverlust durch Inflation, ist der Bundeszuschuss seither um 20 Prozent gesunken. Die Leistungsausgaben der GKV sind im gleichen Zeitraum inflationsbereinigt um 40 Prozent angestiegen. Das passt nicht zusammen.

Fazit: Eine massive Entlastung ist unverzichtbar

Welche gravierenden Auswirkungen diese Politik auf den Krankenkassenbeitrag hat, zeigt folgende –überschlägige  – Rechnung:

  • Würde der Bund für Bürgergeldbezieher fair zahlen, kämen 9 Milliarden Euro mehr in die Kassen der GKV.
  • Würde die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel auf 7 Prozent gesenkt, würde die GKV 4,7 Milliarden sparen.
  • Würden sich die Bundesländer bei der Krankenhausfinanzierung nicht immer weiter zurückziehen, sondern weiterhin 10 Prozent der Kosten tragen, würden sie etwa 7 Milliarden Euro mehr investieren müssen und die GKV entsprechend entlasten.
  • Würden die Länder und gegebenenfalls der Bund die Kosten für eine bessere Krankenhausstruktur tragen, ohne die GKV verfassungswidrig zu beteiligen, hätte die GKV 2,5 Milliarden Euro weniger Kosten.
  • Wäre der Bundeszuschuss für versicherungsfremde Leistungen seit 2012 so erhöht worden, wie sich die Leistungsausgaben der GKV entwickelt haben, müsste der Bund den Krankenkassen etwa 11 Milliarden Euro mehr überweisen.

Zusammengenommen ergeben sich so mehr als 34 Milliarden Euro. Das ist mehr als das Aufkommen aus dem gesamten Zusatzbeitrag aller Krankenkassen zusammen.

Keine Ausgabe mehr verpassen? Hier abonnieren.