Sozialversicherung - 22.06.2023

Pflegeversicherung: Beitrag wird angepasst

Der Deutsche Bundestag hat das Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz verabschiedet. Das Gesetz sieht neben Leistungsverbesserungen,  die die häusliche Pflege stärken sollen, Maßnahmen zur  Optimierung der Einnahmesituation der sozialen Pflegeversicherung vor.  Zudem wird ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt. Wir geben einen ersten Überblick.

Hintergrund: BVerfG sieht Änderungsbedarf

Das BVerfG hatte festgestellt, dass die bisherige Beitragserhebung in der sozialen Pflegeversicherung mit Artikel 3 des Grundgesetzes unvereinbar ist. Spätestens bis Ende Juli 2023 muss der Gesetzgeber demnach Abhilfe schaffen und künftig stärker danach unterscheiden, ob und wie viele Kinder man aufzieht (BVerfG vom 7. April 2022, 1 BvL 3/18, 1 BvR 717/16, 1 BvR 2257/16 und 1 BvR 2824/17).

Hintergrund ist, dass in der sozialen Pflegeversicherung beitragspflichtige Eltern derzeit unabhängig von der Zahl der von ihnen betreuten und erzogenen Kinder mit gleich hohen Beitragssätzen belastet werden. Eltern mit mehreren Kindern leisten nach Auffassung des BVerfG aber neben dem Geldbeitrag einen höheren Anteil zur sozialen Pflegeversicherung als Eltern mit weniger Kindern.

Bisherige Pflegeversicherungsbeiträge

Seit dem 1. Januar 2019 beträgt der Beitragssatz in der sozialen Pflegeversicherung 3,05 Prozent. Beschäftigte, die das 23. Lebensjahr vollendet haben und kinderlos sind, zahlen zusätzlich einen Beitragszuschlag. Dieser beträgt seit dem 1. Januar 2022 0,35 Beitragssatzpunkte und ist von den Beschäftigten allein zu tragen.

Der Beitragszuschlag für Kinderlose geht bereits auf einen älteren Beschluss des BVerfG aus dem Jahr 2001 zurück. Die Karlsruher Richter stellten seinerzeit fest, dass es mit Artikel 3 des Grundgesetzes nicht zu vereinbaren sei, dass Mitglieder der sozialen Pflegeversicherung, die Kinder betreuen und erziehen und damit neben dem Geldbeitrag einen zusätzlichen Beitrag zur Funktionsfähigkeit eines umlagefinanzierten Sozialversicherungssystems leisteten, mit gleich hohen Beiträgen wie Mitglieder ohne Kinder belastet würden.

Geplante Änderungen zum 1. Juli 2023

Ab dem 1. Juli 2023 sollen die Pflegeversicherungsbeiträge angehoben und gleichzeitig der Beschluss des BVerfG vom 7. April 2022 umgesetzt werden. Neben der Differenzierung, ob Beschäftigte Kinder haben oder nicht, soll künftig laut Gesetzentwurf zum PUEG auch die Anzahl der Kinder in der Erziehungsphase bei der Beitragsbemessung eine Rolle spielen:

  • Der Basisbeitrag zur sozialen Pflegeversicherung soll von 3,05 auf 3,4 Prozent angehoben werden.
  • Kinderlose zahlen nach Vollendung des 23. Lebensjahres einen Beitragssatz in Höhe von 4,0 Prozent, denn der allein zu tragende Kinderlosenzuschlag wird von 0,35 auf 0,6 Prozent erhöht. Für jüngere Kinderlose gilt der Basisbeitragssatz in Höhe von 3,4 Prozent.
  • Ab zwei Kindern wird der Beitrag während der Erziehungsphase, das bedeutet bis zum vollendeten 25. Lebensjahr des Kindes, um 0,25 Beitragssatzpunkte je Kind abgesenkt. Die Absenkung gilt für das zweite bis zum fünften Kind.

Kinderabschlag und Kinderlosenzuschlag

Der Abschlag ab dem zweiten Kind ist für jedes der Kinder separat zu beurteilen. Er gilt bis zum Ablauf des Monats, in dem das jeweilige Kind das 25. Lebensjahr vollendet hat oder bei verstorbenen Kindern vollendet hätte. Danach entfällt der Abschlag für dieses Kind.

Sind alle Abschläge für alle Kinder wegen Vollendung des 25. Lebensjahres entfallen, gilt wieder der Basisbeitragssatz in Höhe von 3,4 Prozent.

Bei der Berücksichtigung des Kinderlosenzuschlags bleibt alles beim Alten. Er ist ab dem Beginn des Monats zu zahlen, der auf den Monat folgt, in dem das 23. Lebensjahr vollendet wurde. Wird der Nachweis der Elterneigenschaft innerhalb von drei Monaten nach der Geburt eines Kindes erbracht, beginnt die Zuschlagsfreiheit mit dem Beginn des Monats der Geburt des Kindes; ansonsten wirkt die Zuschlagsfreiheit erst vom Beginn des Monats an, der auf den Monat folgt, in dem der Nachweis erbracht worden ist.

Beispiel Kinderberücksichtigung

Sachverhalt:
Ein Beschäftigter ist 50 Jahre alt und hat
a) keine Kinder
b) ein 12 Jahre altes Kind
c) ein 30 Jahre altes Kind
d) ein 12 Jahre altes und ein 15 Jahre altes Kind
e) ein 12 Jahre altes, ein 15 Jahre altes und ein 30 Jahre altes Kind

Beurteilung:
Ab dem 1. Juli 2023 gilt für den Beschäftigten ein Beitragssatz zur sozialen Pflegeversicherung von
a) 4,0 Prozent
b) 3,4 Prozent
c) 3,4 Prozent
d) 3,15 Prozent
e) 3,15 Prozent

Voraussichtliche Pflegeversicherungsbeiträge ab 1. Juli 2023

Personenkreis Kinderlose
bis Vollendung
23. Lj.
Kinderlose
nach Vollendung
23. Lj.
1 Kind2 Kinder* 3 Kinder*4 Kinder*5 Kinder
und mehr*
Bis 30. Juni3,05 %3,40 %3,05 %3,05 %3,05 %3,05 %3,05 %
Ab 1. Juli3,40 %4,00 %3,40 %3,15 %2,90 %2,65 %2,40 %
Änderung+ 0,35+ 0,60+ 0,35+ 0,10– 0,15– 0,40– 0,65

*Berücksichtigung nur bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres des Kindes

Beispiel Vollendung 25. Lebensjahr

Sachverhalt:
Eine Beschäftigte (40 Jahre alt) hat vier Kinder.

Beurteilung:
In der Zeit, in der alle Kinder das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, beträgt der Abschlag insgesamt 0,75 Prozent. Vollendet eines der Kinder das 25. Lebensjahr, beträgt der Abschlag ab dem Folgemonat nur noch 0,5 Prozent. Vollendet ein weiteres Kind das 25. Lebensjahr, beträgt der Abschlag nur noch 0,25 Prozent. Und wenn ein weiteres Kind das 25. Lebensjahr vollendet, entfällt der Abschlag und es gilt für das restliche Berufsleben der Basisbeitragssatz von 3,4 Prozent.

Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil

Der Anteil des Arbeitgebers am Pflegeversicherungsbeitrag beträgt ab dem 1. Juli 2023 in allen Fallkonstellationen 1,7 Prozent und damit 0,175 Prozent mehr als bisher (siehe aber „Besonderheit im Bundesland Sachsen“). Der Beitragszuschlag für Kinderlose ist weiterhin allein von den Beschäftigten zu tragen. Die Abschläge für Kinder mindern ausschließlich den Arbeitnehmeranteil, dieser beträgt:

  • 1,45 Prozent bei zwei berücksichtigungsfähigen Kindern
  • 1,20 Prozent bei drei berücksichtigungsfähigen Kindern
  • 0,95 Prozent bei vier berücksichtigungsfähigen Kindern
  • 0,70 Prozent bei fünf und mehr berücksichtigungsfähigen Kindern

Besonderheit im Bundesland Sachsen

Arbeitnehmer, die im Bundesland Sachsen beschäftigt sind, haben weiterhin 0,5 Prozent mehr an Beiträgen zur sozialen Pflegeversicherung gegenüber den Beschäftigten in den anderen Bundesländern zu tragen. Denn anders als in allen anderen Bundesländern war 1995 bei Einführung der sozialen Pflegeversicherung nicht der Buß- und Bettag abgeschafft worden. Der Arbeitgeberanteil reduziert sich entsprechend und beträgt in Sachsen ab dem 1. Juli 2023 lediglich 1,2 Prozent.

Nachweis der Elterneigenschaft

Die Beitragsabschläge für Kinder können nur in Anspruch genommen werden, wenn dem Arbeitgeber als beitragsabführender Stelle die Anzahl der Kinder sowie ihr Alter bekannt sind. Bei Vorlage der Nachweise innerhalb von drei Monaten nach der Geburt eines Kindes gelten diese rückwirkend ab dem Beginn des Monats der Geburt. Ansonsten ab Beginn des Monats, der demjenigen folgt, in dem die Nachweise erbracht werden. Dies gilt für ab dem 1. Juli 2025 geborene Kinder.

Übergangsregelung: Die Nachweise für Kinder, die vor dem Inkrafttreten des PUEG geboren wurden, wirken vom 1. Juli 2023 an. Für im Zeitraum vom 1. Juli 2023 bis zum 30. Juni 2025 geborene Kinder wirken die Nachweise ungeachtet der Drei-Monats-Frist ab dem Beginn des Monats der Geburt.

Zur Sicherstellung möglichst reibungsloser und verwaltungsarmer Verfahrensabläufe im Zusammenhang mit der Erhebung und dem Nachweis der Anzahl der Kinder, sollen einheitliche, zentralisierte und digitalisierte Verfahren installiert werden. Diese sollen zukünftig die Arbeitgeber so weit wie möglich vor dem Aufwand der Prüfung von Nachweisen bewahren.

Praxistipp

Das Bundesministerium für Gesundheit soll gemeinsam mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales bis spätestens zum 31. März 2025 ein digitalisiertes Nachweisverfahren entwickeln.

Umsetzung in der betrieblichen Praxis

Einige Anbieter von Entgeltabrechnungsprogrammen haben bereits angekündigt, dass eine so kurzfristige Umsetzung der Neuregelung bis zum 1. Juli 2023 voraussichtlich nicht möglich sein wird. Können die Beitragsabschläge von den Arbeitgebern nicht ab dem 1. Juli 2023 berücksichtigt werden, sind sie so bald wie möglich, spätestens aber bis zum 30. Juni 2025 zu erstatten. Um finanzielle Nachteile für begünstigte Arbeitnehmer zu vermeiden, ist der Erstattungsbetrag vollständig zu verzinsen – also entgegen der ursprünglichen Pläne auch bereits im zweiten Halbjahr 2023.

Bis zum 30. Juni 2025 ist es ausreichend, wenn die Arbeitnehmer die erforderlichen Angaben zu den berücksichtigungsfähigen Kindern auf Anforderung einfach nur mitteilen. Indem sie die mitgeteilten Angaben ohne weiteres verwenden dürfen, sollen die Arbeitgeber vom Prüfaufwand weitestgehend entlastet werden.

Weitere Informationen zur Reform der Pflegeversicherung sind zu finden beim Bundesministerium für Gesundheit.

Hinweis: Bitte beachten Sie, dass dieser Inhalt zwischenzeitlich veraltet sein könnte.

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